Meldestelle für digitale Barrieren

Menu

Inhaltsbereich

Die neue EU-Richtlinie über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen tritt am 22.12.2016 in Kraft. Wird die deutsche Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung - BITV 2.0 überflüssig oder ersetzt? Was steht drin in der EU-Richtlinie? Was bedeutet das für weiteres Vorgehen in den Mitgliedstaaten?

Für ganz Eilige — die Antworten zu den Fragen lauten:

  • Nein, die BITV 2.0 wird vermutlich nicht überflüssig oder ersetzt, allenfalls ergänzt bzw. neu gefasst.
  • Die EU-Richtlinie entspricht im Wesentlichen der BITV, enthält einige zusätzliche Ausnahmen und ein paar neue Punkte.
  • Die Zeit drängt, es gibt viel zu tun.

Was steht drin in der Richtlinie, was ist neu und muss bis wann umgesetzt werden?

Ziel der „Richtlinie (EU) 2016/2102 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2016 über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen [32016L2102]“ ist es wie bereits in der BITV2.0 gefordert, dass „die Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen auf der Grundlage gemeinsamer Anforderungen an einen barrierefreien Zugang besser zugänglich gemacht werden“.

Geltungsbereich

Allerdings werden sowohl in der Begründung als auch unter „Artikel 1 Gegenstand und Anwendungsbereich“ zahlreiche Ausnahmen zugelassen. Im Gegensatz zur BITV 2.0 ist Barrierefreiheit nicht verpflichtend für alle Auftritte und Inhalte, sondern öffentliche Stellen sollten „stets — soweit dies vernünftigerweise möglich ist — barrierefrei zugängliche Alternativen auf ihren Websites oder in ihren mobilen Anwendungen hinzufügen“ (Begründung 28).
Inhalte archivierter Websites oder mobiler Anwendungen, die nicht mehr aktualisiert werden, müssen nicht barrierefrei sein (Begründung 32) und außerdem sollen öffentliche Stellen „Barrierefreiheitsanforderungen in dem Maße anwenden, dass sie keine unverhältnismäßige Belastung für sie darstellen“ (Begründung 39).

Artikel 1, Absatz 3 schließt Websites und mobile Anwendungen von öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten ebenso aus wie die von „NRO, die keine für die Öffentlichkeit wesentlichen Dienstleistungen oder speziell auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen ausgerichtete oder für diese konzipierte Dienstleistungen anbieten“.
Außerdem werden im Absatz 4 zahlreiche Inhalte von Websites und mobilen Anwendungen ausgeschlossen (zum Beispiel: live übertragene zeitbasierte Medien). Darüber hinaus können die Mitgliedstaaten „Websites und mobile Anwendungen von Schulen, Kindergärten oder Kinderkrippen vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausnehmen, mit Ausnahme der Inhalte, die sich auf wesentliche Online- Verwaltungsfunktionen beziehen“.

Im Vergleich dazu ist die vorhandene BITV 2.0 wesentlich strikter und einfacher.
Implizit zwar in der BITV 2.0 berücksichtigt, in der EU-Richtlinie aber explizit erwähnt: Artikel 1, Absatz 4 a) der Richtlinie bezieht ausdrücklich Dateiformate von Büroanwendungen die nach dem 23. September 2018 veröffentlicht werden in den Geltungsbereich ein. PDF-Dateien, MS-Office-Dateien oder quelloffene gleichwertige Formate müssen ab diesem Zeitpunkt barrierefrei sein.

Barrierefreiheitsanforderungen

Anlage 1 der BITV 2.0 entspricht einer Übersetzung der WAI Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.0. Diese lassen sich auf alle Webseiten anwenden, begrenzt auch auf mobile Anwendungen und Dokumente.
Hier ist die EU-Richtlinie eindeutiger und bezieht sich auf die Europäische Norm EN 301 549 V1.1.2 „Barrierefreiheitsanforderungen für die öffentliche Beschaffung von IKT-Produkten und -Dienstleistungen in Europa“ (EN 301 549 V1.1.2 (2015-04) = DIN EN 301549:2015-11). Diese Europäische Norm beinhaltet die WCAG 2.0 und enthält darüber hinaus Anforderungen zur Barrierefreiheit von Hardware, Software und Dokumenten.

Die Kommission erlässt eine Durchführungsrechtsakte zur Festlegung einer technischen Spezifikationen zur Erfüllung der Richtlinie bis zum 23 Dezember 2018. Falls bis dahin eine andere Norm existiert welche zumindest einen gleichwertigen Grad der Zugänglichkeit bietet wie die EN 301 549 V1.1.2, so wird diese als Referenz bestimmt.

Eine komplett neue vergleichbare Norm bis zu diesem Zeitpunkt ist sehr unwahrscheinlich, eine neuere Fassung der EN 301 549 ist zwar auch unwahrscheinlich aber möglich.

Ab dem 23.12.2018 gilt dann rechtsverbindlich EU-weit die von der Europäischen Kommission in der Durchführungsrechtsakte genannte Norm als technische Spezifikation zur Barrierefreiheit. Die Mitgliedstaaten dürfen dann strengere Regelungen anwenden, müssen aber mindestens den genannten Standard erfüllen (die EN 301 549).

Für Webseiten öffentlicher Stellen in Deutschland ändert sich nichts – diese müssen bereits nach den BITV des Bundes und der Länder barrierefrei sein. Anlage 1 der Bundes-BITV entspricht der WCAG 2.0 AA und diese ist in Kapitel 9 der EN 301 549 enthalten.
Für mobile Anwendungen und Dokumente ändert sich auch nicht viel – außer, dass es jetzt einen eindeutigeren Standard gibt als die eigentlich nur für Webinhalte konzipierten WCAG.

Bundesländer, die noch nicht eindeutig auf die geltende Bundes-BITV bzw. die WCAG 2.0 verweisen (Übersicht über den Stand der Gesetzgebung in den Ländern) sollten in ihrer Landes-BITV auf den Standard DIN EN 301549:2015-11 verweisen. Falls die Bundes-BITV Anlage 1 belässt, könnte hier ein Zusatz erfolgen wie „Zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2016/2102 gelten weitere Details nach DIN EN 301549:2015-11“.

Neu: zusätzliche Maßnahmen und Überwachung

Als zusätzliche Maßnahmen müssen Mitgliedstaaten:

  • eine detaillierte, umfassende und klare Erklärung zur Barrierefreiheit bereitstellen
  • Maßnahmen treffen um die Anwendung der Barrierefreiheitsanforderungen zu erleichtern
  • Schulungsprogramme im Zusammenhang mit dem barrierefreien Zugang zu Websites und mobilen Anwendungen erleichtern und fördern
  • für die Barrierefreiheitsanforderungen sensibilisieren
  • periodisch Websites und mobile Anwendungen öffentlicher Stellen überwachen

Der erste Punkt - die in der EU-Richtlinie geforderte Erklärung zur Barrierefreiheit – könnte durch einen Zusatz in der BITV oder durch eine eigene Verordnung umgesetzt werden. Zur leichteren Umsetzung wird die Europäische Kommission eine Mustererklärung bereitstellen.
Darüber hinaus muss ein Feedback-Mechanismus zur Verfügung stehen, mit dem die Nutzer der betreffenden öffentlichen Stelle jegliche Mängel mitteilen können.

Schulungsprogramme, Sensibilisierungsmaßnahmen und Erleichterung der Anwendung von Barrierefreiheitsanforderungen werden bereits jetzt durchgeführt (BITV-Lotse, Government Site Builder der Bundesverwaltung und weitere Angebote von verschiedenen Stellen).

Der letzte Punkt (Artikel 8 Überwachung und Berichterstattung) hat es allerdings in sich und lässt sich nicht nur mit einer kleinen Ergänzung in der BITV umsetzen:
Websites und mobile Anwendungen öffentlicher Stellen sollen überwacht werden und es soll eine Berichterstattung an die Kommission erfolgen.
Hierfür muss bis zum 23. September 2018 eine Stelle eingerichtet und der Kommission benannt werden. Die Überwachungsmethode wird von der Kommission bis spätestens zum 23. Dezember 2018 in einer Durchführungsrechtsakte festgelegt. Gegenwärtig ist völlig unklar wie diese europaweite Methode aussehen wird.

Umsetzungsfristen auf einen Blick

Grob betrachtet haben die Mitgliedstaaten 2 Jahre Zeit um mit eigenen Gesetzen und Verordnungen die EU-Richtlinie 2016/2102 umzusetzen. 2 Jahre hört sich viel an, ist aber im Rahmen von Abläufen rund um Gesetzesprozesse doch relativ wenig.

Die Fristen im Einzelnen:

22.12.2016
Inkrafttreten der EU-Richtlinie 2016/2102
Ab 23.06.2017
Übertragung von Rechtsbefugnissen der Mitgliedstaaten an die EU, damit die Kommission die genannten Durchführungsrechtsakte erlassen kann
Bis 23.09.2018
Inkraftsetzen von erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2016/2102 in den Mitgliedstaaten
Einrichten und Benennung einer Überwachungsstelle in den Mitgliedstaaten
Benennung einer Stelle für die Durchsetzung („Ombudsmann“/Feedbackstelle) in den Mitgliedstaaten
Neu veröffentlichte Dateiformate von Büroanwendungen öffentlicher Stellen müssen barrierefrei sein
Ab 23.09.2018
Neue Websites öffentlicher Stellen müssen barrierefrei sein
Bis 23.12.2018
Durchführungsrechtsakte der Europäischen Kommission zur Festlegung einer technischen Spezifikation (DIN EN 301549:2015-11)
Durchführungsrechtsakte der Europäischen Kommission der Europäischen Kommission über Mustererklärung zur Barrierefreiheit
Durchführungsrechtsakte der Europäischen Kommission zur Festlegung einer Methode für die Überwachung
Durchführungsrechtsakte der Europäischen Kommission zur Festlegung der Modalitäten für die Berichterstattung der Mitgliedstaaten
Ab 23.09.2019
Inhalte von Extranets und Intranets, d. h. Websites, die nur für eine geschlossene Gruppe von Personen und nicht für die allgemeine Öffentlichkeit verfügbar sind müssen barrierefrei sein
Neue Inhalte von Websites und mobilen Anwendungen, die als Archive gelten, müssen barrierefrei sein
Ab 23.09.2020
Aufgezeichnete zeitbasierte Medien müssen barrierefrei sein
Webseiten öffentlicher Stellen, die vor dem 23. September 2018 veröffentlicht wurden müssen barrierefrei sein
Ab 23.06.2021
Mobile Anwendungen öffentlicher Stellen müssen barrierefrei sein
Ab 23.12.2021
Erster Bericht an die Kommission mit Ergebnissen der Überwachung einschließlich der Messdaten (danach alle drei Jahre)
Bis 23.06.2022
Überprüfung der Anwendung dieser Richtlinie durch die Kommission